An der Kiellinie sehe ich eine Frau. Sie trägt einen kurzen schwarzen Mantel, der mit einem Gürtel tailliert ist und einen schwarzen Rock, nur wenig länger als der Mantel. Schwarze Seidenstrümpfe und über der linken Schulter eine große schwarze Tasche. Die Frau isst einen Apfel. Sie geht schnell aber nicht hastig. In meiner Phantasie kommt sie von der Beerdigung ihres Halbbruders.
Am späten Vormittag hatten sie seinen Sarg in die Erde gelassen. In der Kapelle hatte der Pastor rührselige Worte gesprochen; am Grab hatte das gemeinsam gesprochene Vaterunser ihr Trost gespendet. Die Kaffeetafel hatte sie sich erspart, seiner Familie ihre Anwesenheit. Dabei hatte alles sehr viel versprechend begonnen, als sie sich vor zwei Jahren auf einer Fortbildung kennengelernt hatten. Sie hatten sich gleich gut verstanden. Sie hatte das Gespräch geschickt auf ihre Familie gelenkt. Sie wusste von ihm, er bis dato nicht von ihr. Er hatte sich über eine Halbschwester gefreut. Der Rest der Familie weniger. Vor allem seine Mutter nicht. Die hatte jahrelang erfolgreich verhindert, dass er seine Halbschwester kennenlernen konnte. Jetzt ist er tot. Sie ist zufrieden. Genüsslich beißt sie in ihren Apfel.
Und in Wirklichkeit ist wahrscheinlich alles ganz anders.