Beim Museumshafen sehe ich eine Frau und einen Mann auf einer Bank sitzen. Sie sitzt aufrecht, er nach vorn gebeugt. Sie trägt einen schwarzen Hut auf weißem Haar, er weiße Socken in schwarzen Schuhen. In meiner Phantasie sind die beiden Nachbarn und er ist seit vierzig Jahren in sie verliebt.
Er ist alleinstehend, ihr Mann ist unterwegs auf seiner jährlichen Angeltour. Seit fünf Jahren fragt er sie, ob sie mit ihm einen Sonntagsspaziergang macht. Er fragt nur in seinen Träumen.
Als er jünger war, hat er jeden Morgen auf dem Rathausplatz Akkordeon gespielt. Ein einziges Musikstück, dass er fehlerfrei spielen kann. Im Rathaus arbeitete seine Angebetete, die von der Musik keine Notiz zu nehmen schien. Dennoch spielte und spielte der Musiker unverdrossen sein fröhlich-trauriges Lied. Da er aus Liebe spielte, stand kein Hut für Geldmünzen, der ohnehin nur vorbeihastenden Passanten, vor ihm. Die Musik gab den Menschen, die sie nicht zu hören schienen, Gedanken für den Tag in ihren Kopf.
Eines Tages spielte der Akkordeonspieler ein anderes Lied. Getragen und traurig. Seine Angebetete war nicht da. Schon länger nicht. Nach einem Jahr hörte er auf, vor dem Rathaus zu spielen und begann seine Angebete zu suchen.
Er fand sie wieder und zog in ihre Nachbarschaft. Sie war verheiratet. Manchmal nahm er Pakete für sie an, wenn sie nicht da war. Dreißig Jahre sind sie Nachbarn.
Heute hat sie sein Glück zerstört: Sie hat ihn gefragt, ob er mit ihr spazieren geht. Jetzt sitzen sie auf einer Bank beim Museumshafen. Sie sitzt aufrecht und er nach vorn gebeugt.
Und in Wirklichkeit ist wahrscheinlich alles ganz anders.