Fietser und Herenkapper

NieuweAmstelBrug

Jeder fährt Rad in Amsterdam. Einfach jeder. Und alle fahren ohne Helm. Und schnell sind die „Fietser“. Rasend schnell. Als Fußgängerin muss ich mehr drauf achten, nicht vor ein Fahrrad zu laufen als vor ein Auto.

Beim Straßeüberqueren schaue ich zuerst nach heranrasenden Radfahrern, die auch an einem Zebrastreifen nicht anhalten müssen. Jedenfalls machen sie das nicht; wäre ja auch blöd das ewige Stoppen und Anfahren.

Sind die Radler vorbeigeheizt, überquere ich den Radweg bis zur Verkehrsinsel. Dort bleibe ich stehen. Die Autos halten am Zebrastreifen. Ich überquere die schwarze Autofahrbahn und halte auf der nächsten Verkehrsinsel an, um wieder nach Radfahrern zu gucken. Alle vorbei. Dann kann ich den roten Radweg überqueren. Geschafft.

Vor den zahlreichen Brücken nehmen die Radfahrer extra Schwung, um leichter raufzukommen. Bei der Abfahrt wird nicht gebremmst, sondern kräftig in die Pedale getreten, um Schwung für die nächste Brücke zu holen oder zu überholen, wie die blonde Frau auf der Nieuwe Amstel Brug auf dem Foto.

Die Hochhäuser im Hintergrund stehen am Amstel Bahnhof. Von dort sind es fünf Minuten Fußweg zu unserer Wohnung in Amsteldorf, das wir über eine Treppe erreichen, die wir 24 Stufen hinuntergehen müssen, weil Amsteldorf unter Amstelniveau liegt.

Früher war Amsteldorf mal ein See. Das jedenfalls hat der „Herenkapper“, der drei Häuser weiter in der Fahrenheitstraat seit Jahrzehnten den Jungen und Männern der Nachbarschaft die Haare schneidet, dem Ingolf erzählt. Und dass es mal zwölf Läden in der Straße gab und er den Letzten betreibt.

Und dass Amsteldorp in den 1920er Jahren eingemeindet wurde und die Backstein-Reihenhäuser in den 1940er/50er Jahren gebaut wurden. Und dass die teuer seien, weil man das Grundstück mitkauft. Das sei sonst in Amsterdam nicht üblich, da pachte man das Grundstück auf zehn Jahre. Schade, dass die Friseurbesuche vom Ingolf nicht länger dauern, sonst hätte er bestimmt noch mehr erfahren.

Die Stadt erfahren, also mit dem Rad, haben wir uns für Dienstag vorgenommen. Dann soll es laut Wettervorhersage längere Zeit nicht regnen. Aber so rasen wie die Einheimischen werde ich nicht. Ich habe ja Zeit. Und so trainiert bin ich auch nicht.

5 Gedanken zu „Fietser und Herenkapper

  1. Ui, das klingt nach Abenteuerurlaub. Statt wilder Tiere wilde Radler, pass gut auf Dich auf!
    Das mit dem Friseur fand ich lustig, hätte sich Ingolf nicht noch eine Packung machen lassen können, oder Dauerwellen?

    • Sehr schön, ja, die wilden Radler sind die wilden Tiere Amsterdams.
      Eine Packung hab‘ ich Ingolf für seinen nächsten Friseurbesuch vorgeschlagen, Dauerwelle wollte er nicht :-).

      • Meine Haare waren für seine Lockenwickler zu kurz 😉 und ’ne „Packung“ gibt’s wo anners.
        Ansonsten ist so ein Friseurbesuch in der Fremde genau das Richtige, um etwas über die Nachbarschaft zu erfahren. Und Trivial-Zeitschriften auf Niederländisch sind auch prima kurzweilig. Man lernt dort unglaublich praktische Alltagsphrasen:
        „Het is niet meer lang als het eerder is geweest“

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